Journalismus mit Kindern
Wir bleiben bei den Schwärmereien über die redaktionelle Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Warum auch nicht, sie sind halt einfach klasse! 😀
Während ich im 2. Teil vor allem über die Großartigkeiten geschrieben habe, die in der außerschulischen Jugendarbeit passieren können, soll es in diesem Teil um die Großartigkeiten der Jüngeren gehen, die der Kinder zwischen 8 -14, unsere Grundschülis.
Diese Arbeit hat mich in der Methodik speziell herausgefordert, mir so viel Freude bereitet und mich wahrhaftig und tiefgründig beeindruckt. Wie auch bei der Jugend kann ich mich nur wiederholen: Es ist Wahnsinn, was so junge Menschen (mit Medien) schaffen können, wenn sie gelassen und dabei unterstützt werden.
Anmerkung am Rande: Mit dieser Altersgruppe habe ich inner- und außerschulisch gearbeitet, an einzelnen Projekttagen oder in fortlaufenden AGs. Wie bei der Jugendarbeit habe ich die einzelnen Projekte selbst entwickelt.
Hinweis zu den Verlinkungen: Gerne würde ich hier auf die einzelnen Arbeiten und Ergebnisse verlinken und sie einbetten, weil sie einfach großartig sind und gezeigt werden sollten. Aufgrund des (auch zurecht) strengen Kinderdatenschutzes, verlinke ich lediglich auf schon online stehende Arbeiten aus anderen Projekten, beschreibe meine Projekte anschaulich und stelle Teile meines selbst erstellten Arbeitsmaterials zu Verfügung.
Redaktionelle Arbeit in der Grundschule
Anmerkung am Rande: Kinder haben eine ganz eigene Wahrnehmung, was den Journalismus angeht. Während fast alle ab spätestens 14 Jahren wissen, was Journalismus ist, was eine Redaktion ist und was die ungefähr so machen, ist der Wissensstand bei Grundschülis ganz divers. Manche wissen ganz genau schon, was das ist und wie Journalist!nnen arbeiten, was oft an ihren Eltern liegt, die auch irgendwas mit Medien machen. Manche kennen vor allem Sportjournalisten oder Journalisten aus Wetterberichten. Für viele werden auch YouTuber*innen mit Journalist*innen gleichgesetzt. Manche Kinder dürfen mit ihren Eltern LOGO sehen, andere werden weder an Nachrichten herangeführt, noch an Medien im Allgemeinen. So sieht das auch mit den eigenen Geräten aus: Ungefähr die Hälfte der 3. Klässler!nnen hat schon ihr erstes Smartphone, die andere Hälfte wartet ganz brennend darauf.
Zwei Dinge habe ich sehr schnell festgestellt: Wenn du Kinder fragst, mit welchem Medium sie als erstes arbeiten wollen, kommt in 99% der Fälle „Wir wollen Videos machen, wir wollen YouTube machen“. Das Bild steht erstmal im Vordergrund. Zweitens: Es hilft, mit Kindern zwischen 8 und 12 spielerisch umzugehen – weniger reden, viel mehr machen und lachen. Die pädagogische Unterstützung einer Lehrkraft/Erzieher!n/ Sozial Arbeiter!n wird bei Grundschulkindern wichtiger. Vor allem bei einem fortlaufenden innerschulischen Angebot ist die Zusammenarbeit zwischen Medienmensch und pädagogischer Kraft sehr wünschenswert, um eine nachhaltige Medienbildung zu erreichen. Aber naja, hallo Lehrkraftmangel.
„Alles klar, dann bis gleich“, ich verlasse den Raum, ziehe mir vor der Tür ein Jackett über, setze meine Fensterglasbrille auf, atme tief durch und mit einem plötzlichen Ruck reise ich die Tür auf: „REDAKTION!“, brülle ich, die Kinder starren mich an. Ich renne auf sie zu „REDAKTION! DIE SMOMBIES KOMMEN!“ Acht aufgerissene Augenpaare starren mich an. „Was sind Smombies?“, fragt mich Mara*. „SMOMBIES?! SMARTPHONE ZOMBIES?!“, brülle ich. Sie sehen mich weiterhin verwirrt an. Ich sprinte zum Smartboard und zeige verschiedene Fotos von Menschen, die auf ihr Smartphone starren. „Sie sind überall. Egal ob jung, ob alt, ob Kinder oder Eltern…. sogar Babys! Alle sind betroffen!“, referiere ich, die Kinder schauen gebannt, ein paar lachen, ein paar steigen voll mit ein. „Was ist passiert?“ Wir mutmaßen verschiedene Sachen über einen Virus, der über das Handy auf die Menschen übertragen wird und sie zwingt, Smartphones anzustarren. Sie verlieren ihren Willen, weil sie eine bestimmte Nachricht bekommen haben, oder oder oder. Woher kommen die? Kann das Viurs geheilt werden? Was können wir tun?
„Wir müssen die Smombies alle töten“, Kili* bewaffnet sich mit dem Zeigestab und Lineal. „Aber die können doch noch geheilt werden! Die müssen nur das Handy wegtun!“, ruft Raul*. „Was sind den unsere Waffen als Journalisten?“, frage ich. „Wir müssen sie warnen! Wir müssen ihnen erzählen was los ist, damit nicht alle zu Smombies werden!“, ruft die Redaktion. „Genau! Und deswegen machen wir eine Sonderfernsehsendung!“.
Es entstand das erste fortlaufende AG-Projekt mit Grundschülis, das ich je gemacht hatte – eine großartige Sendung über Smartphones und Smombies. Wir überlegten uns zusammen, was eine richtige Sendung braucht:
Eine Begrüßung (Anmoderation), eine Verabschiedung (Abmoderation) und verschiedene Sachen zum Thema (Beiträge). Wir entschieden uns für * einen StopMotion-Film über Smombies und das Problem, * ein Tutorial darüber, was so ein Smartphone alles kann, *einen Talk über eine Welt ohne Smartphones und warum wir die Dinger so toll finden und *Tipps für eine bewusstere Smartphone Nutzung.
Anmerkung am Rande: Es hilft, immer ein paar inhaltliche Ideen schon für die Kinder vorbereitet zu haben. Trotzdem: Offen bleiben, die besten Sachen kommen von den Kindern selbst!
Die Beiträge wurden an zwei Produktionstagen in Kleingruppen erstellt. Mit Hilfe von Arbeitsblättern konnten die Kinder recht selbstständig mit den Tablets in ihren Gruppen arbeiten. Zusätzlich gab es kleine Übungen zur Kameratechnik, Perspektiven und Einstellungsgrößen wurden gelernt und was es für gute Fotos und Videos denn alles braucht. Das Material der Kinder wurde von mir zu Hause zu einer Sendung zusammengeschnitten, die wir uns zum Abschluss natürlich zusammen angesehen und gefeiert haben. Da durften auch Zertifikate zur erfolgreichen Verhinderung der Smombie-Apokalypse nicht fehlen. Hier könnt ihr euch ein paar Arbeitsblätter holen und für eure Zielgruppe anpassen:
Die Materialien stelle ich hier unter der CC – BY – NC – SA zur Verfügung. Sie können bearbeitet werden und für nichtkommerzielle Zwecke genutzt werden, nennt mich oder den Blog nur bitte als Urheberin. 🙂
Kenne deine Möglichkeiten: Mit Kindern in dem Alter lassen sich Talks und Tutorials am einfachsten durchführen. Dazu braucht es lediglich eine Kamera (App), mit der gefilmt werden kann. Die Talks können auch im Selfie-Modus aufgenommen werden, ansonsten gilt die Regel: Ein Kind an der Kamera, der Rest vor der Kamera. ACHTUNG: RUHE BEI DEN AUFNAHMEN! Die Aufnahmen sollten im Anschluss von der Lehrkraft gesichert werden und von Schulgeräten wieder gelöscht werden. Zur Postproduktion können PC- Schnittprogramme oder Apps genutzt werden.
Mit der Erstellung eines Tutorials oder einem Talk bekommen die Kinder: Handhabungskompetenzen und ein erstes Verständnis der Funktionsweisen von Kameras. Sie lernen Bild- und Persönlichkeitsrechte kennen. Auch erleben sie Medien als etwas Menschengemachtes und erlangen die Fähigkeit, sich über Fotos und Videos selbst auszudrücken. Sie lernen, ihr Wissen und sich selbst zu präsentieren, erkennen, dass Medienarbeit auch Teamarbeit ist, verbessern ihren Spracherwerb und und und.
Wir haben im Laufe der Zeit ein paar MedienAGTV-Sendungen produziert. Wir haben viele verschiedene Fußballtutorials gesehen, uns Trikots mit ihrer Werbung und Nummern erklären lassen, verschiedene Tricks in Zeitlupe gesehen und gelernt, haben die großen Stars in 1 zu 1 Duellen gegeneinander spielen sehen und dabei den packenden Kommentaren der Sportkommentatoren gelauscht, wir haben actionreiche Parcoursvideos gedreht und waren auf Abenteuerreise, haben verstecken gespielt und merkwürdige Hobbies kennengelernt. Wir haben Handys im Detail erklärt bekommen, wissen jetzt, wie Schleim ganz leicht selbst gemacht werden kann und wie Streit geschlichtet wird und und und. Kinder erklären und zeigen ihre Welt auf ihre Weise und ganz schön professionell.
Kenne deine Möglichkeiten: Meistens sind Videos das erste, das Kids in dem Alter machen wollen. Videos sind allerdings recht aufwändig, je nachdem, was erreicht werden soll. Als Einstieg eignen sich Fotos und Fotostories am Besten, sowie auch Audioaufnahmen wie Radiosendungen oder Podcasts.
Während meine Arbeit mit den 3. und 4. Klassen viel projektbezogener und Einzel-Video-lastiger war, konnte ich mit der 5. und 6. Klasse wirklich in die redaktionelle Arbeit einsteigen – und wurde überrascht. Nicht nur, dass alle schon gute Vorstellungen von einer Redaktion hatten, sie wollten auch die Verantwortung und das Ganze Drum und Dran: Wir gründeten unseren „Blog“ (ein Pappaufsteller, der wie eine Wandzeitung funktioniert) mit Namen, Logo, Beitragskategorien und Kommentarspalten. Danach legten Ressorts fest, wie z.B. Gaming, Sport, Musik usw. Wir wählten Chefredakteurinnen, bastelten Presseausweise und verfassten auch unsere ersten Artikel auf bunten Plakaten.
Kenne deine Möglichkeiten: Bei aller Liebe zum Datenschutz und zur analogen Welt – für Grundschulkinder ist die handschriftliche Arbeit an Plakaten recht mühsam. Möglichkeiten zum Medienmix wären von Vorteil, zum Beispiel durch Einbettungsmöglichkeiten von Audios oder Videos – wenn sie auch (zumindest schulintern) mit veröffentlicht und gezeigt werden könnten.
Überraschenderweise wurde die frischgegründete Schüliredaktion auch mit realen (journalistischen) Problemen konfrontiert: Kinder wollen oder dürfen sich nicht filmen lassen, sie werden bei der Produktion gestört oder auch angegriffen, die Zeit reicht nie, der technische Fehlerteufel schleicht sich ein und es gibt Datenverlust, der Blog wird einfach von anderen Lehrkräften weggestellt, Artikel abgehängt, usw.
Wir sprachen also über journalistische Realität, über die Aufgaben und unsere Verantwortung gegenüber unserer Leserschaft. Wir schulten das Bewusstsein und erörterten die Fragen WIE wir berichten, WORÜBER wir berichten und für WEN wir berichten.
Hinweis am Rande: Es ist von Vorteil die Schüliredaktion nicht nur als einzelne AG zu betrachten, sondern als Gruppe, die sich um das Schulmedium kümmert. Das Medium kann durch die Redaktion, aber auch nachhaltig von der ganzen Schule gepflegt werden. Auch im Kollegium oder in der weiteren Auseinandersetzung mit den Eltern kann darüber gesprochen werden, wie die Rahmenbedinungen des Mediums sein soll(t)en. Es sollte aber die Möglichkeit bestehen, dass die Kinder so frei wie möglich und interessenbezogen arbeiten und veröffentlichen können, das beinhaltet auch sensible Themen. Für die Sensibilisierung bieten sich kleine Schulungen im Vorfeld von Berichterstattungen an.
Nach all diesen Erfahrungen kann ich den Einsatz der redaktionellen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wiederholt nur empfehlen – egal ob innerschulisch oder außerschulisch, ob digital, ob analog, ob in fortlaufenden Projekten oder in punktuellen Workshops. Das journalistische Handwerk dient wunderbar zur Medienkompetenzvermittlung – für alle Alterstufen, für alle Gruppengrößen. Wie das methodisch angegangen werden kann, und wie auch DU deine Redaktion gründest und zum laufen bringen kannst, wird in den nächsten Beiträgen erläutert, versprochen.
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